Kurzer Einstieg in das Thema Kognitive Dissonanz: „…schwingt sich aufs Motorrad und geht einen Espresso trinken“.
Die Beutung dieser facebook Statusmeldung für die Wissenschaft ist so wertvoll wie der oft zitierte Sack Reis in China und dennoch wird er kommentiert, wie zahlreich gezeigt werden konnte, und mit den klassischen „gefällt mir“-Statements gewertet. Die zusätzliche Visualisierung durch ein stylisches Motorrad unterstreicht den Sendungscharakter der Statusmeldung.
Es ist schon längst nicht mehr die in allen volkswirtschaftlichen Disputen strapazierte Knappheit von Gütern, die unsere Gesellschaft prägt, es ist die knappe Ressource Zeit, die zum Engpass geworden ist und die in Verbindung mit einem zunehmenden medialen und gesellschaftlichem Atomisierungsprozess zur echten Herausforderung für Werbungtreibende geworden ist.
Die klassische Markenwelt muss sich gegen espressotrinkende Motorräder behaupten.
Vorbei die Zeiten als Nowotny (nota bene: NICHT der Fußballer, sondern der ehemalige ARD Intendant) das Fernsehen als „Lagerfeuer“ bezeichnete, von dem man nach Straßenfegersendungen wie seinerzeit das Messer von Durbridge erhob (für die Jüngeren: das war eine Krimi-Serie, also mehrere Folgen die man immer zu einer bestimmten Uhrzeit im Fernsehen anschauen musste/konnte), um am nächsten Tag am Arbeitsplatz darüber zu sprechen. Das (öffentlich-rechtliche) Lagerfeuer ist allerdings nicht aufgrund der in den Markt drängenden Privatsender erloschen, sondern durch einen neuen, wesentlich atomisierteren „Kanal“, für den noch nicht einmal mehr ein richtiger Name gefunden ist – Social Media ist lediglch der begriffliche Versuch, definitorische Größen von Web 2.0 bis Mobile Advertising etc. unter ein Gattungsdach zu bringen.
Kognitive Dissonanz
Aus der Kommunikationsforschung weiß man: Je mehr (digitale) Applikationen egal welcher Couleur zum Einsatz kommen, desto lauter werden die Störgeräusche und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die einzelne (Werbe)Botschaft aus dem (all)gemeinen (Social)Media-Getöse nicht mehr herausgehört wird. Dies hat zur Folge, dass der Sender den Geräuschpegel für teueres Geld erhöhen muss, um sich aus der digitalen Werbe-Masse abzuheben (mit der aus der Wissenschaft wohl bekannten Konsequenzen, falls andere nachziehen). Der derart umworbene Konsument schützt sich vor allzu starkem medialem Lärm, indem er ihn durch selektive Aufmerksamkeit, stereotype Aufmerksamkeit oder gar Vorurteile von sich fern hält – ein Phänomen, dass als kognitive Dissonanz bestens bekannt ist, von Social Media „Experten“ jedoch erfolgreich verdrängt wird. Einmal sensibilisierte Abwehrmechanismen implizieren jedoch auch, dass andere u. U. wesentliche Informationen herausgefiltert werden. Wie aber schaut dann die aufgrund von Selektionen konstruierte neue Wirklichkeit aus?
Wie aus der Forschung ebenfalls hinreichend bekannt ist, formen wir unser Bild der Wirklichkeit (was immer das auch sein mag) nicht dank eigener Anschauung, vielmehr wird diese von verschiedenen Produzenten „geliefert“. Der „Platzhirsch“ Fernsehen war jahrzehntelang der quasi monopolistische Lieferant staatlich lizensierter Bilderwelten. Wen wundert es, dass Fernsehen von Anfang an im Fokus der Sozial-Wissenschaften stand. So stellte Günther Anders in seiner Phänomenologie des Fernsehens bereits im Jahre 1956 fest, dass die Welt ins Haus geliefert werde. Wurde sie vorher noch kollektiv konsumiert, so entstand jetzt ein neuer Typus Mensch, den er als den „Massen-Eremiten“ bezeichnete:
„Die Schmids und die Smiths konsumierten die Massenprodukte nun also en famille oder gar allein; je einsamer sie waren, um so ausgiebiger: der Typ des Massen-Eremiten war entstanden; und in Millionen von Exemplaren sitzen sie nun, jeder vom anderen abgeschnitten, dennoch jeder dem anderen gleich, einsiedlerisch im Gehäus – nur eben nicht, um der Welt zu entsagen, sondern um um Gottes willen keinen Brocken Welt in effigie zu versäumen“. ( Anders, G., Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. I, erw. 5. Aufl., München 1980, S. 102)
Dekontextuiertheit
In Social Media Welten wird dieses Bildnis nun noch durch den zusätzlichen Hebel des Ich-Senders komplettiert, der die Datenvielfalt überproportional verstärkt, schwächere „Sender“ zudem in deren ohnehin schon sehr reduzierten Kommunikation lähmt und den von Postman geprägten Begriff der Dekontextuiertheit noch potenziert. Postman warf seinerzeit dem Medium Fernsehen vor, dass es aufgrund dekontextuierter Schlagzeilen-Bilder-Kombinationen (Neil Postman – Wir amüsieren uns zu Tode) den Konsumenten solcher Bilderwelten historischer Zusammenhänge beraubt. Ging man früher außer Haus, um Er-Fahrungen zu sammeln, um sich zu bilden, so musste man sich im Fernseh-Zeitalter ins Haus begeben, um „im Bilde“ zu sein (was durch mobile Technologien zwar entkräftet, aber nicht zwingend widerlegt wird).
Kulturpessimismus
Gegner der Kulturkritik warfen Autoren wie Postman, Anders et al. vor, sie betrieben polemischen Kulturpessimismus. So anerkannte beispielsweise Kreimeier zwar, dass Postmans Visionen vom Fernsehen als epistemologische Leitstelle, in der die Inhalte aller anderen Medien zusammenfließen, ohne Zweifel eingetroffen seien, war jedoch überzeugt, dass der tiefe Kulturpessimismus, dessen Wurzeln er in einer priesterlichen Bilderfeindschaft sah, Postmans rigorose Abrechnung letztlich unergiebig mache.
Dass der Kulturpessimismus im Vergleich zur heutigen Social Media Welt eher untertrieben war, konnte damals natürlich keiner ahnen. Was wohl hätte Hegel gesagt, der die menschliche Sprache als Transportvehikel philosophischen Gedankengutes als zu unzureichend bezeichnete, wenn er hätte sehen müssen, dass die Sprache dank twitter auf das Extremste reduziert wird. Wir leben in einer Echtzeitgesellschaft reduziert auf 140 Zeichen. Die einstmals angestrebte Maxime eines kategorischen Imperativs erfährt eine geistige Kehrtwendung in Richtung „gefeierte Unabhängigkeitserklärung des Kleingeistes“
„Charakteristisch für den gegenwärtigen Augenblick ist jedoch, dass die gewöhnliche Seele sich über ihre Gewöhnlichkeit klar ist, aber die Unverfrorenheit besitzt, für das Recht der Gewöhnlichkeit einzutreten und es überall einzusetzen“
Zu dieser Erkenntnis kam nicht etwa ein anerkannter Social Media Forscher aufgrund seiner empirischen Forschungen (gibt es heutzutage eigentlich noch Philosophen?), sondern ein Soziologe Namens Ortega y Gasset im Jahre 1929 (vgl. Ortega y Gasset, J., Der Aufstand der Massen, Ausg. 426.-428. Tsd., Stuttgart 1993, S. 13)
Die entscheidende Frage: Wie lange wird die hier skizzierte Maximierung des Gewöhnlichen noch funktinieren? (Wann) wird facebook in die Bedeutunglosikeit verschwinden und Statements wie etwa „...schwingt sich aufs Motorrad und geht einen Espresso trinken“ werden wirkungslos verpuffen?
5 Comments